HANDWERK

 
Neben den anfangs durch Arbeitsteilung getrennten Beschäftigungen der Tierhaltung und Jagd, des Fischfangs und Ackerbaus entstanden – nicht zuletzt um deren Bedarf an Werkzeugen und Geräten zu decken – die verschiedenen handwerklichen Tätigkeiten. Aus der Zeit der ungarischen Landnahme und Staatsgründung wurden unter anderem auf die folgenden Gewerke hindeutende archäologische Funde freigelegt: Bogenfertigung, Schmiedehandwerk, Sattlerei, Gold- bzw. Silberschmiedehandwerk, Leder-, Knochen- und Holzbearbeitung, Töpferei.
Für den Bogenmacher lieferte das Fischen einen der wichtigsten Rohstoffe, den Leim, mit dessen Hilfe er eine solch furchteinflößende Waffe fertigte, die die ganze westliche Welt erzittern ließ. Der Bogen wurde schichtweise, abwechselnd aus Hart- und Weicholz sowie aus flexiblen Tiersehnen zusammengestellt, indem man die Schichten mit dem aus der Fischblase gekochten Leim zusammenklebte, zusammenpreßte bzw. aneinander band. Die Handhabung des mit aus Hirschgeweih geschnitzten Platten verstärkten Reflexbogens bedurfte außergewöhnlicher Geschicklichkeit, deshalb übte man sie schon von früher Kindheit an. An den federbesetzten Pfeilschäften wurden – je nach Verwendungszweck – Pfeilspitzen unterschiedlicher Form befestigt, die nicht der Bogenmacher, sondern der Schmied anfertigte.
Die Produktpalette des Schmiedemeisters war sehr vielseitig; neben Pfeilspitzen stellte er die verschiedensten Waffen (Säbel, Lanze, Streitaxt), Pferdegeschirre (Trense, Steigbügel, Gurtschnallen) sowie landwirtschaftliche Geräte (Pflug, Spaten, Sichel, Beil) her. Zu dem bei Ausgrabungen freigelegten archäologischen Nachlaß des Schmiedehandwerks gehören Grubenwerkstätten, eine zum Teil in den Boden eingelassene Werkstatt, aber auch eine über Tage stehende Werkstatt mit Pfostenkonstruktion. Unter den Funden kamen solche geschmiedeten Messer oder Sicheln mit gezahnter Schneide zum Vorschein, an denen kombinierte Eisen- und Stahlbeschichtung zu beobachten ist.
Schmiedewerkstätten und Eisengießereien arbeiteten im 11.-12. Jahrhundert getrennt voneinander. Zwar wird in den zeitgenössischen Quellen nicht davon gesprochen, doch archäologische Funde beweisen es eindeutig, daß sich die landnehmenden Ungarn auch auf die Verhüttung von Edelmetallen und Eisen verstanden.
Der Sattler fertigte die Sattelknöpfe aus hartem Lindenholz, die Sattelbretter aus weichem Pappel- oder Birkenholz. An beiden Seiten des Sattels wurden die dem Reiter Sicherheit bietenden Steigbügel befestigt, deren runde Trittflächen gleichzeitig darauf hinweisen, daß die Ungarn damals zum Reiten Stiefel mit weicher Sohle trugen.
Von der Gold- bzw. Silberschmiedekunst der Landnahmezeit wissen wir überwiegend durch die bei Ausgrabungen zum Vorschein gelangten Gegenstände. Der meistverwendete Grundstoff außer Bronze war das heilige Metall, das Silber. Es wurde gegossen oder aus Blech getrieben und zwecks Verzierung gepunzt. Den Hintergrund schmückte man mit reicher Vergoldung, um den pflanzlichen Musterschatz noch besser hervorzuheben. Die vielleicht bekanntesten landnahmezeitlichen Denkmäler dieses Handwerks sind die in mannigfaltiger Weise geformten, eine ranganzeigende Rolle erfüllenden Taschenplatten.
An den zur Frauentracht gehörenden Scheiben oder Armringen tauchten auch Verzierungen in Form von Tierdarstellungen auf. Vom Gemeinvolk verwendete typische Schmuckgegenstände waren Haarringe mit S-Ende, halbmondförmige Anhänger, Bandfingerringe und Armringe. Das häufig aus Gold gefertigte Geschmeide der Vornehmen unterschied sich streng von den Bronze- bzw. Silbergegenständen, die das Gemeinvolk trug.
Mit der Staatsgründung verschwand die an das alte Weltbild des Zeitalters der Landnahme anknüpfende Goldschmiedekunst. Vom Goldschmiedehandwerk des 11. Jahrhunderts künden zahlreiche Schriftquellen, Kirchenregister oder Ortsnamen. In den Legenden über König Stephan den Heiligen wird die Altaraustattung der Kathedrale zu Székesfehérvár erwähnt, doch nur wenige Sachdenkmäler blieben erhalten. Die für den Hof arbeitende Goldschmiedewerkstatt in Esztergom (Gran) war gleichzeitig als königliche Münzstätte tätig, aber auch individuelle Aufträge der hohen kirchlichen und weltlichen Herren dürften die hiesigen Goldschmiede ausgeführt haben.
Die Lederverarbeitung galt anfangs als typische Frauenarbeit. Im allgemeinen diente als Ausgangsmaterial das Fell von Schafen, seltener von Rindern. Unter den frühen Gerbeverfahren wandten die Landnehmenden das Alaun- und Fettgerben an. In ganz Europa wurde das mit Alaun behandelte, talggetränkte ungarische Leder bekannt, das man mit Vorliebe zur Herstellung von Pferdegeschirr (Sattel, Zügel) benutzte. (Die Franzosen bezeichneten das mit Alaun behandelte Leder im Mittelalter als Leder ungarischer Art.) Andere aus Leder gefertigte Gebrauchs- und Trachtgegenstände – wie z. B. Schläuche, Taschen, Gürtel – waren Produkte der Geschirrmacher oder – wie bestimmte Teile der Kleidung – der Kürschner.
 
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